Humans is a Cosmic Plant
Group show at Frappant Galerie, Hamburg, GER
14.07.-23.07.2023
tg/w Lukas Kindermann & Yota Ayaan
curation by Judith Hofer

 

Despite the persistent push by the German automobile industry towards an individualistic vision of electric mobility, lithium mining is primarily occurring in the margins of Europe and beyond. In regions that might appear geographically remote from some points of view, such as areas in Serbia, areas of the Sami communities in Finland or places in Northern Portugal, which are not viewed from a central-European perspective on a daily basis, but are obviously situated at the center of the people that inhabit these regions. The exhibition introduces traditional concepts of the commons, shared goods, the distribution of water and land, the river mussel, and the precious and protected heathlands by presenting bits of sounds, colors, objects, and images. Additionally, the show presents stories and voices of protest from the isolated mountain area of Northern Portugal: The Barroso region. However, the intact ecosystem, which has been designated as agricultural heritage by the UNESCO and sustained by traditional systems of care, is currently under threat from extractivism. The exploitation of lithium through open-cast mining will result in the disappearance of the mountains in Covas do Barroso. Furthermore, as lithium is a non-renewable resource, the extraction will eventually continue in other valleys and other places after a decade or two. Questions arise, about what to care for, what to listen to, and what to protect for the future to come.

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Den Begriff intercalations [lat. intercalare: dazwischen schieben] leihe ich mir aus verschiedenen Disziplinen: Er beschreibt geologische Gesteinsschichten, die sich zwischen schon bestehende feste Segmente schieben, beschreibt chemische Prozesse von Lithium-Ionen innerhalb einer Batterie oder aber einen weiteren Erzählstrang, als Einschub in die große Rahmenhandlung. “Mobilität wird grün!” ist eine dieser ‘offiziellen’ Proklamationen und mit ihr ‘die große Wichtigkeit’ der Beschaffung großer Mengen strategischer Rohstoffe. Die Ausstellung verstanden als intercalation möchte dieser Annahme eine weitere Schicht hinzufügen, indem sie einer der Regionen Raum gibt, auf die derzeitig der Druck aus den politischen Zentren Europas wächst, angetrieben durch den großen Hunger nach dem, was sich in den nordportugiesischen Gesteinsschichten verbirgt: Lithium. 

Im Frühjahr schickte mir mein Vater eine Postkarte der Lüneburger Heide. In seiner Kindheit zu kostbar für den Versand, heute dagegen als ‚aus der Zeit gefallen‘ befunden, transportiert sie in ihrer biografischen Dimension und ihrem Motiv ein Stück Norddeutschland. Mit ihr als Ausgangspunkt ergaben sich Überlegungen, wie: Was ist unser persönliches Verhältnis zu den Landschaften, die uns umgeben? Welche biografischen und geologischen Zeitlichkeiten wohnen diesen Natur-Kultur-Gefügen inne? Welchen Wert haben lokale Ökosysteme und ihr Erhalt für nachfolgende Generationen? Die unter Schutz stehende norddeutsche Heidelandschaft erinnert heute nur noch nostalgisch an traditionelle Formen der Landnutzung und der traditionellen Mensch-Natur-Beziehungen. Ihr Gegenüber lassen sich in der bergigen Heidelandschaft im Norden Portugals, der Region Barroso vergleichbare, jedoch noch intakte und gelebte Traditionen vorfinden. Auf der Suche nach nachhaltigen Visionen für die Zukunft widme ich mich in der Ausstellung diesem Zusammenleben der Menschen im Barroso mit ihrer Mitwelt und jenen Strukturen, die ihre Gemeinschaft in Form der Allmende bis heute prägen. Die Videoinstallation Den Bergen, Wiesen, Felsen und Böden, den Kühen und Ginstern, Menschen, Flussmuscheln und Wassern bildet den Kern: Im Zuhören und Ansehen der Bilder, des Gesangs, der Geräusche und der Stimme von Aida Fernandes aus Covas do Barroso, breiten sich die Charakteristika des Natur-Kultur-Gefüges der Region vor uns aus: Intergenerationales Wissen und Kreislauflandwirtschaft, eine kollektive Bewirtschaftung der Baldios [Allmende], und ein traditionelles Bewässerungssystem für eine gerechte Verteilung des Wassers innerhalb der Gemeinschaft.

Neben den Erzählungen der Menschen werden in großformatigen Malereien die Heidelandschaft und des Wasserleitsystems im Palmenblatt der europäischen Art Chamaerops Humilis zelebriert, während als weitere Akteurin die Margaritifera margaritifera, die Flussperlmuschel, ins Bild tritt, in Form von Keramiken und als Gravur in Anlehnung an eine enzyklopädische Darstellung aus vor-industrieller Zeit. Damals war sie vielerorts in europäischen Flüssen ansässig, ihre Erinnerung spannt sich bei einem Höchstalter von bis zu 270 Jahren weit zurück: Innerhalb ihres Lebenszyklus verweilt sie ein Jahr in den Kiemen der Bachforelle, bis sie sich für mehrere Jahre in den Flussgrund gräbt. Erst dann beginnt sie vom Flussbett aus, die Wasser zu filtern und zu reinigen. Wo sie lebt, ist das Wasser besonders rein, jedoch ist ihr Lebensraum prekär geworden, seit Staudämme der Bachforelle, den Weg versperren, seit Reste industrieller Landwirtschaft die Wasser durchspülen und Flussbetten durch menschlichen Eingriff verändert und Rohstoffe extrahiert werden. Es gibt sie heute in der Lüneburger Heide und im Barroso, und so ist sie Symbol für ein intaktes Natur-Kultur-Gefüge.

Im Barroso sollen die gemeinschaftlich genutzten Berge nun weichen, Wasser entzogen und Erden verödet werden, um eine der größten Lithium-Minen Europas im offenen Tagebau zu eröffnen. Die Verbindung der Menschen zu den natürlichen Kreisläufen und ihre Tradition eines ressourcenschonenden nachhaltigen Wirtschaftens treffen auf andere Visionen einer nachhaltigen Zukunft angetrieben durch elektrifizierte Mobilität. Nicht zuletzt in Hinblick auf die deutsche (Auto-)Industrie und den Wunsch, das Geschäftsmodell großer, schwerer und schneller Fahrzeuge mit besonders hohem Rohstoffbedarf in die Zukunft zu retten, werden Verantwortungen offengelegt. Die Ausstellung versucht keine Antworten zu geben, sondern versteht sich als intercalation, will hinzuzufügen, was häufig am Rand des Blickwinkels bleibt, will den Barroso und mit ihm seine Schönheit zelebrieren als Inspiration in unserem Nachdenken für ein Zusammenleben in der Zukunft.